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Vertrieb und Marketing

Oder: Man sollte nicht trennen, was zusammen gehört.

Nach all dem spröden Stoff von Buchhaltung, Recht und Kostenrechnung im Grundstudium konnte mich ein Professor begeistern, die Flinte nicht ins Korn zu werfen und weiter zu studieren. Dies war der Marketing-Prof. Er verstand es vorzüglich, den Studierenden deutlich zu machen, dass der Kunde ein psychologisches und soziologisches Phänomen ist, das es für sich und seine Marke zu begeistern gilt.

Bei diesem Professor, wie auch bei seinen Marketing-Kollegen war natürlich nie die Rede von der  Trennung zwischen Vertrieb und Marketing in der Praxis. (Das Wort „Vertrieb“ ist den Herren im Hörsaal ohnehin nur selten oder nie über die Lippen gekommen).

Der Praxis-Schock

Groß war der Schock, der mich erfasste, als ich in meiner ersten Anstellung nach der Universität die strikte Trennung zwischen Vertrieb und Marketing erfahren musste. Konnte ich mir doch nicht vorstellen, dass dem gleichen Ziel verschworene Bereiche sich so auseinander dividieren lassen.

Als junger Produktmanager (in der Abteilung Marketing) war ich für die Entwicklung, Umsetzung und Kommunikation einer Fülle von Produkten verantwortlich. Ganz naiv dachte ich, ein gutes Produkt würde sich schon von ganz alleine verkaufen. Die ersten Erfahrungen mit dieser Naivität waren bitter. So scheiterte ich bereits bei der ersten Ebene der Kommunikation, der internen Kommunikation. Denn mir gelang es nicht, dem Vertrieb des eigenen Unternehmens die Kern- botschaft des Produktes, seine Rolle im Sortiment und den Nutzen für Handel und Endkunde unmissverständlich und unverrückbar deutlich zu machen. Wie sollte der von mir im Stich gelas- sene Vertrieb erst einen Händler von meinem Produkt überzeugen können? Und wie sollte ein Händler dann einen Endkunden von meinem Produkt begeistern? Die Antwort war und ist immer noch häufig sehr einfach: über den Preis! Und das ist bekanntlich der Anfang vom Ende einer jeden (Premium-) Marken-Politik.

Stille Post

Kinder nennen dieses Spiel vom Marketing über den Vertrieb bis hin zum Händler und zum End- kunden „Stille Post"! Und freuen sich, wenn am anderen Ende der Kette etwas ganz anderes herauskommt als am Anfang gesagt wurde. Was im Kinderspiel für Erheiterung sorgt, ist für Unternehmen meist nicht ganz so lustig. Marketing und Vertrieb müssen also dafür sorgen, dass in dem Spiel "Stille Post" das richtige „hinten rauskommt“.

Vertrieb und Marketing sind also auch nicht zwei Seiten einer Medaille, sondern ineinander verzahnte Teilprozesse, die einen Zweck verfolgen: die (Marken-) Botschaft muss unverfälscht über den gesamten Vermarktungsprozess beim Kunden ankommen. Dabei ist, wie so häufig, weniger mehr! Und natürlich ist es nicht einfach, es einfach zu machen, so dass die Botschaft die gesamte Prozesskette „überlebt“.

Die prozessuale Sicht auf die Dinge hilft in vielerlei Hinsicht weiter. Wer Marketing und Vertrieb als Teilprozesse interpretiert, der weiß einerseits von der wechselseitigen Abhängigkeit und andererseits von dem gleichgerichteten, übergeordneten Zweck - nämlich in Sachen Produkt und Dienstleistung relevant für den Endkunden und differenzierend, d.h. besser zu sein als der Wett- bewerb.

Ein Prozess, wie auch seine Teilprozesse, besteht aus Phasen, die sich wechselseitig bedingen. In jeder Phase gibt es Verantwortliche, die sowohl aus Vertriebs- als auch aus Marketing- Verantwortlichen bestehen können. So empfiehlt es sich, im Produktentstehungsprozess auch den Vertrieb mit an Bord zu nehmen, der die Sicht des Handels und/oder des Endkunden im Projektteam vertritt. Und genauso gut haben die Verantwortlichen im Marketing ihre Funktion im Produktvermarktungsprozess, der bekanntlich nicht bei der Erstellung der Produktkommunikationsmittel aufhört.

In der Technik entwickelt der Entwickler sowohl das Produkt als auch das Verfahren zur Herstellung dieses Produktes und übergibt einen funktionierenden Prozess an die Fertigung. Die Ferti- gung stellt daraufhin die anforderungskonforme Produktion des Produktes sicher. Der Entwickler unterstützt die Fertigung so lange, bis der von ihm entwickelte Prozess reibungslos funktioniert. Dieses Bild ist ohne weiteres auf das Zusammenspiel von Vertrieb und Marketing übertragbar: Marketing ist der Entwickler von Vermarktungsprozessen, Vertrieb bedeutet anforderungskon- forme Umsetzung der Vermarktungsprozesse. Das heißt natürlich auch, dass das Marketing den Vertrieb bei der Umsetzung der Vermarktungsprozesse mindestens so lange zu unterstützen hat, bis die Prozesse reibungslos funktionieren.

Die Aufgabe des Marketing

Die Aufgabe des Marketing ist die Entwicklung und Umsetzung von Vermarktungsprozessen!

Damit ist der Marketingbegriff in der deutschen Praxis ad absurdum geführt. Im deutschen Sprachraum wird Marketing landläufig mit Kommunikation gleichgesetzt. Die Entwicklung von Vertriebs-und Vermarktungsprozessen setzt jedoch ein detaillierteres Fachwissen und spezifischere Fähigkeiten als lediglich die Erstellung von „Hochglanzbroschüren“ voraus. So müssen alle Phasen des Vermarktungsprozesses in einen stringenten Ablauf gebracht werden, die Ver- antwortlichkeiten je Phase festgelegt werden, die Ziele je Phase definiert und nicht zuletzt die Kommunikations-Werkzeuge (alias Tools) für jede Phase entwickelt und umgesetzt werden. Dies kommt dem angelsächsischen Marketingbegriff deutlich näher. Hier bedeutet Marketing so viel wie "vermarkten".

Damit kommt auch der Kommunikation eine neue, übergeordnete Bedeutung zu. Denn jedes Kommunikationstool muss seiner spezifischen Aufgabe in den jeweiligen Phasen des Prozesses gerecht werden. So hat ein Telefonskript im Call-Center eines Investitionsgüterherstellers lediglich die Aufgabe, einen Termin für den Außendienst mit dem Interessenten zu vereinbaren, dem Interessenten also deutlich zu machen, welchen Nutzen er von einem Außendienstbesuch hätte. Dies ist in der Tat etwas anderes, als das Produkt per Telefon zu verkaufen.

In Prozessen denken

Wer in Prozessen denkt und den Kommunikationstools eine klare Aufgabe in den Phasen des Vermarktungsprozesses zuordnet, der spart nicht nur viel Geld für „Hochglanzbroschüren und bunte Bilder“, der hat vor allen Dingen einen didaktischen Nebeneffekt: die Verantwortlichen in Vertrieb und Marketing verstehen die Funktion der Kommunikationstools in den Phasen des Prozesses und lernen die richtigen Werkzeuge zur richtigen Zeit richtig einzusetzen, nämlich effizient. Wie auch ein Handwerker seine Werkzeuge für den jeweiligen Zweck richtig einsetzt.

Denken Sie in Prozessen! Formulieren sie klare Verantwortlichkeiten und Ziele in jeder Phase eines Prozesses! Ordnen Sie den Kommunikationstools klare Aufgaben im Prozess zu und werfen sie den Ballast unnötiger Kommunikationstools ab. Das spart Zeit und Geld und sorgt für mehr Klarheit bei allen Beteiligten im Prozess. Reduzieren Sie die Komplexität ihrer Kommunikation und Ihrer Kommunikationstools, intern und extern!